Regionale Krimis summen in erster Linie einmal die Vorzüge der Geschichte wie eine Hymne ab, ehe sich darin kurz das regionale Böse zeigt, das selbstverständlich von den Guten in die Schranken verwiesen wird.
Lenz Koppelstätter zeigt mit seinem natur-intelligenten und auch durch Studien intellektuell auf die Höhe der Zeit gebrachten Commissario Grauner einen Typus Südtiroler, wie er weltaufgeschlossen und historisch abgeklärt durchaus Gang und Gäbe ist. Diesem Grauner, der seine Fälle mit der bodenständigen Hingabe eines Landwirtes abarbeitet, ist ein junger Inspektor aus Neapel beigestellt, der mit seiner Außensicht den lokalen Gebräuchen die entscheidenden Fragestellungen in den Weg wirft.
Der Fall beginnt mit einem historisch-emotionalen Sturm über dem Schnalstal, der Ötzi, Hannibal, Völkerwanderung und Schaftrieb als dynamische Antriebsfedern über den Gletscher bläst. Der Gletscherschilauf hat neue Helden hervorgebracht, die Raupenfahrer fegen über die Pisten wie einst die Cowboys über die Prärie.
Kurz vor dem Heiligen Abend wird im Sturm noch einmal der Gletscher gepflügt, aber diese Nacht hat es in sich, der Raupenfahrer wird wahnsinnig und am Morgen findet man einen Toten mit einem Pfeil im Hals. Jetzt wird Commissario Grauner aus seinem Familienleben gerissen, statt die Tochter in die Schule zu bringen muss er auf den Gletscher und nebenbei den Kollegen aus Neapel in die wichtigsten Grundregeln des Südtirolertums einführen.
Nicht einmal für einen Einheimischen ist es leicht, den politischen Filz im entlegenen Schnalstal zu ordnen. Der Tote ist offensichtlich ein Außenseiter, der in einer Höhle gewohnt hat, der Bürgermeister hat ihn gemobbt, in dieser Gegend gibt es als Lösung der Probleme nur das Weggehen oder die Unterwerfung unters Faustrecht. Die Todesursache ist ganz stilgerecht ein Pfeil aus dem Umfeld von Ötzi, die Spur führt dann auch ins Ötzi-Museum, wo ein Einbruch vertuscht worden ist. Wie immer, wenn man in Südtirol der Wahrheit auf den Pelz rückt, wird es für die Rechercheure gefährlich, auch Grauner begibt sich in umso größere Gefahr, je näher er der finalen Aufklärung kommt.
Lenz Koppelstätters Toter am Gletscher liest sich als logisch aufgebauter Krimi, der immer wieder für zackige Wendungen und fulminante Überraschungen gut ist, deshalb darf der Plot hier auch nicht verraten werden. In der Metaebenen der Erklärungen und Anspielungen taucht ein politisch aufgeklärtes System auf, das fröhliche und selbstbewusste Menschen zum Vorschein bringt und an seinen Rändern in einen ironisch kultivierten Mythos ausfliest. Ötzi als Wirtschaftskörper, Kommissare aus Nord und Süd, die sich kulturelle Unterschiede gönnen, hormonelle Schübe, die aus Wirtschaftstreibenden emotional Erigierte machen, und eine Landschaft wie geschaffen für Pseudo-Heroen - "Der Tote am Gletscher" bedient einen geradezu realistischen Mythos, der durchaus sympathisch wirkt.
Helmuth Schönauer (Pool Feuilleton//www.biblio.at)
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Verlag:
Kiepenheuer & Witsch
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ISBN:
978-3-462-04728-8
Beschreibung:
309 Seiten : Illustrationen
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deutsch